Ich wollte euch schon viel früher berichtet haben, allerdings war ich viel unterwegs und musste irgendwie auch mal was für die UNi tun...
Deshalb komme ich erst jetzt wieder dazu, euch ein wenig zu schreiben.
Nach meinem kurzen Update am Mittwoch, will ich den heutigen Eintrag dazu nutzen, wie ich als Unbeteiligte die Ereignisse der letzten Tage erlebt habe.
Am Dienstag bin ich nach der Sprachschule etwas über die Istiklal Caddesi gebummelt, die Haupteinkaufsstraße, die einen zum Taksim führt. Dort hörte ich schon die Rufe einer kleinen Gruppe Demonstrierender. Es war Dienstag und die Gruppe war nur klein. Und es war keine Polizei zu sehen bisher. Es konnte sich also nicht um eine angekündigte Demonstration handeln. Noch wusste ich nicht, warum es diese Gruppe auf die Straßen gedrängt hatte.
Ich ging noch entspannt einen Çay trinken und werkelte an meinen Türkisch Hausaufgaben. Jetzt musste ich zum Taksim, um mit der Metro zu Iris zu kommen, wo wir auf einen entspannten Abend verabredet waren.
Überall Polizei. Es formierten sich ganze Wände aus komplett ausgestatteten Polizisten. Gasmasken, Gewehre mit Plastikgeschossen, Schlagstöcke. Die vorderste Reihe hatte sogar schon die Plastikschilder vor sich. Aber alles schien ruhig.
Ich sprang in die Metro und kaufte mir noch einen leckeren Çiğ köfte zum Abendbrot.
Bei ihr angekommen, erfuhr ich, was heute geschehen war. Berkin Elvan war nach 269 im Koma verstorben. Das Achte Opfer der Gezi-Proteste vom Sommer. Noch dazu ein unbeteiligter Teenager.
Für Viele war Berkin zu einem Symbol geworden. Symbol für die Gewaltbereitschaft der Polizei. Die Aggressivität.
Ich hatte das Gefühl, dass die ganze Stadt ergriffen war.
Iris Mitbewohnerin hatte nachmittags sogar geweint.
Über einen "Live-ticker" verfolgten wir immer wieder die Nachrichten. Draußen gab es schon lange keine friedliche Demonstration mehr. Eigentlich in Kadiköy angekündigt, gab es nicht nur dort, sondern auch rund um den Taksim und in Beşiktaş Demonstrationen und Auseinandersetzungen. Doch nicht nur Istanbul war in Aufruhr. Auch in Ankara und vielen weiteren Städten trieb es die Leute auf die Straße.
Ich wollte abends auf jeden Fall noch heim fahren, da ich Mittwoch früh in die UNi musste. Allerdings muss ich gestehen, dass ich mir zwischendurch wirklich Sorgen gemacht habe, ob ich überhaupt gescheit heim komme. Auf meinem Weg lag der Taksim und mein Ziel war Kadiköy.
Ich wollte es wenigstens versuchen. Bei Iris verließ ich das Haus, um schnell die letzte Metro zu bekommen. Der Weg zur Metrostation dort stelle sich tatsächlich als der schwierigste Teil meiner Unternehmung dar. Auf der Hauptstraße sah ich Leute mit Feuerwerksraketen schießen. Diese flogen nicht hoch in die Lüfte, sondern eher parallel zur Straße. Dazu sah man Rauchwolken und als ich mich näherte, fiel mir das atmen schwerer und die Leute, die mir mit Schal vorm Gesicht entgegen kamen, meinten, dass ich einen anderen Weg nehmen sollte. Ich versuchte es mit den Parallelstraßen. Die unterste gab mir den Weg zu guter Letzt frei. Ich blickte noch einmal die Hauptstraße rauf: eine Straßenbarrikade, Feuer in einer Mülltonne, Nebel- und Rauchschwaden in einem orangenen Licht. Dazwischen Menschen mit Gasmasken. Ein paar vereinzelte Polizisten standen noch an der Straßenecke an der Metrostation, griffen allerdings nicht ein, sondern witzelten eher. Eine bizarre Szene. Ich wollte nicht länger bleiben, sondern sputete zur Metro und war etwas aufgeregt, was mich wohl am Taksim erwarten würde.
Als ich mit den Rolltreppen eine Etage höher fuhr, biss es ein wenig in meiner Nase, sodass ich mich für den hinteren Ausgang am Ende des Gezi-Parks entschied, der nicht auf den Taksim Meydanı führt. Alles war ruhig. An der Ecke warteten Polizisten auf einen Bus, der sie abholte. Sie lachten und grinsten mir zu als ich mich an ihnen vorbei Richtung Bushof drängelte.
Alles war ruhig. Ich sah und roch und hörte nichts mehr.
Mein Bus fuhr mich über den Bosporus gen Kadiköy. Am Hafen stieg ich auch aus. Auch hier: alles ruhig. Ein merkwürdiges Gefühl. Auf meinem Heimweg sah alles aus, wie immer.
Mittwoch, 12.03.2014
Morgens mit der Fähre zur Uni. Dann die Nachricht, dass der Sprachkurs ausfalle. SOllte ich zur Beerdigung gehen oder lieber den sonnigen Tag genießen und ein paar Dinge erledigen? Die Zeit war knapp noch pünktlich zur Beerdigung zu kommen, deshalb entschied ich mich für den Heimweg. Ich hatte einen sehr entspannten Tag und habe abends noch mit Ava und einer Freundin aus ihrer Heimat für Philipp gebacken. Als wir durch Kadiköy liefen, mussten wir einmal den Weg ändern, damit wir nicht in eine laute Demonstration gerieten, aber ansonsten hatten wir noch nicht viel mitbekommen. Unser Weg von der Tramstation zu Ava verbrachten wir schnupfend und hustend. Das Tränengas verteilte sich in den Gassen und biss in der Kehle. Aber alles noch im Rahmen. Auf einem Platz in der Nähre ihrer Wohnung, bauten die Leute noch eine Barrikade, aber die meisten saßen in Cafes am Straßenrand und waren entspannt. Die großen Proteste waren nicht in Cihangir.
Die Beerdigung fand in Feriköy statt. Allerdings gab es einen Protestzug aus mehr als 10000 Menschen. Immer wieder ertönten die Rufe "Mörder, Kindermörder" und viele Wahlplakate wurden umgeändert.
Als die Menge zum Stehen kam und sich ein Teil von Osmanbey aus Richtung Taksim begab, begann die Polizei Tränengas und Wasserwerfer einzusetzen, um diese zurück zu drängen.
Eine Freundin, Marie berichtete später, dass sie nicht nach Hause kam. Sie wohnt in Osmanbey. Ich habe Videos von dem Metroeingang gesehen, welchen ich am Dienstag noch benutzt habe. Wasserwerfer, Tränengas.
Im Trauerzug sind nicht nur Studenten und junge Leute mitgelaufen, sondern auch viele Eltern und ältere Leute wurden aufgerüttel, auf die Straße zu gehen. Avas Mitbewohnerin stand den Tag über am Fenster und hat mit ihrem Schellenkranz Lärm gemacht, um den Leuten auf der Straße zu zeigen, dass sie diese unterstützt. Auch Caro hat berichtet, dass die alten Frauen in ihrer Straße an den Fenstern standen und den Demonstranten auf der Straße zulärmten: Mit Kochtöpfen und allem, was eben Lärm macht.
Es ist alles sehr emotional und ergreifend.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, wo bei so viel Gegenwehr gegen die momentan Regierung noch Wähler und Befürworter eben dieser sind. ALlerdings gibt es diese. Und davon anscheinend mehr als genug.
Es bleibt auf jeden Fall spannend, die die KOmmunalwahlen am 30. März ausgehen.
Ich habe euch noch ein paar Links herausgesucht, zum Nachlesen der Ereignisse. Und das ein oder andere Foto.
http://www.sueddeutsche.de/politik/zusammenstoesse-in-der-tuerkei-1.1910065
http://www.spiegel.de/politik/ausland/proteste-in-der-tuerkei-erdogan-provoziert-opposition-a-958396.html
http://instagram.com/p/ldU7dyCZi4#
http://www.taz.de/Neue-Gewalt-in-der-Tuerkei/!134762/
http://www.srf.ch/news/international/tuerkei-nach-der-trauer-die-eskalation
Ich habe keins der Bilder selber geschossen. Sie sind alle aus dem Internet geklaut.
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